Braucht es eine Forschungspause bei KI?

US-Journalist Gershkovich in Russland verhaftet

Evan Gershkovich, Korrespondent des Wall Street Journal, ist bei einer Recherche im wichtigen Rüstungsindustriestandort Jekaterinburg festgenommen worden. Gershkovich wird Spionage vorgeworfen, er muss zunächst für zwei Monate in Untersuchungshaft. Bisher betrafen die Einschränkungen der Pressefreiheit in Russland akkreditierte Journalisten aus dem Ausland deutlich weniger. Hat sich das nun geändert?
Über 1000 Experten der Tech-Branche und Forschung – darunter Elon Musk und Apple-Mitbegründer Steve Wozniak – haben in einem offenen Brief vor den „erheblichen Risiken“ Künstlicher Intelligenz (KI) gewarnt. Sie fordern mindestens ein halbes Jahr Entwicklungspause und die Errichtung von Sicherheitsstandards. Kommentatoren diskutieren, ob technischer Fortschritt aufgehalten werden kann und sollte.

Die internationale Presse diskutiert darüber:

+++ Auch seine Kollegen können zu Geiseln werden
Pawel Kanygin – Russland. Der in den USA lebende russische Journalist Pawel Kanygin warnt auf seinem Facebook-Kanal westliche Kollegen in Russland: „Die Spionagevorwürfe sind absurd und bewegen sich auf dem Niveau von ‚Die Nato wollte uns angreifen‘. Das ist einfach Blödsinn. … Höchstwahrscheinlich hatten sie ihn schon lange im Visier. … Wahrscheinlich ist Evans Verhaftung einfach ein zynisches Auffüllen des ‚Austauschfonds‘: Ein Ausländer wird als Geisel genommen, um später gegen vom Kreml gewünschte Personen ausgetauscht zu werden. Es gibt immer noch viele westliche Journalisten, die in Russland akkreditiert sind. Evans Fall erhöht das Risiko für sie alle.“

+++ Das freie Wort als größte Gefahr
Frankfurter Allgemeine Zeitung – Deutschland. Für ausländische Medien wird die Arbeit in Russland nach diesem Vorfall noch schwieriger, befürchtet auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Über den Korrespondenten schwebt seit vergangenem März das Damoklesschwert eines Zensurgesetzes, das schon unter Strafe stellt, den Krieg einen Krieg zu nennen. … Jetzt sagt die Sprecherin des russischen Außenministeriums, dass nicht nur Gershkovich, sondern auch andere Korrespondenten ihren Status für Spionage missbraucht hätten. Leider steht zu befürchten, dass damit in Wirklichkeit die normale Recherche gemeint ist, denn nichts fürchtet der Kreml mehr als das freie Wort.“

+++ Unverhältnismäßiges Risiko eingegangen
Nikolai Mitrochin – Russland. Der Politologe Nikolai Mitrochin kritisiert Gershkovich auf Facebook: „Wie realitätsfern und eingebildet muss man sein, um sich in einem unverhohlen antiamerikanischen Land, das sich im Krieg befindet, das eine brutale Diktatur ist mit einer druckfrischen, de facto terroristischen Gesetzgebung, in eine der repressivsten Städte zu begeben und auf eigene Faust Soldaten oder Söldner zu befragen? Und das mit dem FSB im Nacken. … Jetzt müssen die USA ihn gegen einen echten russischen Spion eintauschen. Und sie haben bereits die Evakuierung der übrigen US-Bürger angekündigt, denen er mit dieser dummen Aktion eine Falle gestellt hat. … Die Frage ist auch bei der Informationsgewinnung immer die des Verhältnisses von Preis und Ergebnis.“

+++ Fehler nicht verstärken
Irish Independent – Irland. Einen neuen Umgang mit KI fordert Irish Independent: „Maschinelles Lernen wird unsere Zukunft radikal umgestalten, im Guten wie im Schlechten. Genauso, wie es das Internet vor einer Generation tat. Aber diese Veränderungen werden das Internet sehr wahrscheinlich wie eine Aufwärmübung aussehen lassen. KI hat die Fähigkeiten, all unsere menschlichen Fehler zu verstärken und zu verbreiten, indem sie bürgerliche Freiheiten missachtet und Rassismus, Klassenunterschiede und Ungleichheit verfestigt. … Es ist Zeit für neue Regeln und Werkzeuge, die mehr Transparenz dazu ermöglichen, mit welchen Datensätzen KI-Systeme trainiert werden und welche Werte für die Entscheidungsberechnungen der KI installiert werden.“
+++ Kontrollbehörden schaffen

Les Echos – Frankreich. Der Umgang mit künstlicher Intelligenz muss sich dringend verbessern, mahnt der Wirtschaftswissenschaftler Julien Serre in Les Echos: „Wir müssen schnellstmöglich die Schaffung neuer Institutionen fördern. Dazu gehören fähige und legitime Behörden, die den widerlichen Strom von Desinformationen bewältigen, der alle sozialen Netzwerke fluten und unsere Demokratie gefährden wird. Europa kann dabei eine führende Rolle spielen. … Unsere Priorität muss die Förderung von Technologie sein, die sowohl wettbewerbsfähig als auch verantwortungsbewusst ist. Europa muss verhindern, dass der gegenwärtige Wettlauf um die Entwicklung und den Einsatz immer leistungsfähigerer digitaler Tools zu schwer zu kontrollieren zu sein wird.“

+++ Unglaubwürdig und unrealistisch
La Stampa – Italien. Das fällt denen aber spät ein, spottet La Stampa: „Die besten Köpfe unserer Generation sind plötzlich aufgewacht, haben wahrscheinlich das Bild vom Papst in der weißen Trapperjacke [das in den sozialen Medien kursierte] für echt gehalten und sich gefragt, wenn ich als Koryphäe darauf hereinfalle, muss ich mir dann Sorgen machen? Der Punkt ist: Kann der Fortschritt aufgehalten werden? Ist diese Idee, die industrielle Entwicklung zu stoppen, glaubwürdig? … Moralische Skrupel kommen in der Regel vorher, nicht nachher: Man kann nicht mit der Atombombe hantieren und sagen: ‚Ups, tut mir leid‘, wenn man sie fallen lässt.“

+++ Nicht die Nerven verlieren
L’Opinion – Frankreich. Eine Pause ist nicht das, was es jetzt braucht, meint L’Opinion: „Angesichts der wirtschaftlichen, rechtlichen und geopolitischen Herausforderungen ist klar, dass nicht so sehr eine Pause, sondern vielmehr eine Beschleunigung erforderlich ist. Nicht unbedingt bei der technologischen Entwicklung – auch wenn Institutionen dazu neigen, mit dem Rücken zur Wand effizienter zu sein als mit viel Planungszeit -, sondern bei der Strukturierung des Sektors. Ja, die Möglichkeiten, die generative KIs bieten, sind Neuland. Aber anstatt den Pionieren dieses neuen Wilden Westens Hindernisse in den Weg zu stellen, sollte man den Wettbewerb sich organisieren lassen und der Regulierer sollte die Grenzen des Territoriums abstecken. In Sachen KI dürfen wir nicht die Nerven verlieren.“

+++ Der Mensch ist die Gefahr
Delo – Slowenien. Die digitale Revolution kann zu einem besseren Leben beitragen, schreibt der IT-Experte Saša Prešern für Delo: „Die einzige Bedrohung für die Existenz der Menschheit ist der Mensch, nicht die Technologie. Wann wird die Politik erkennen, dass sie mit Hilfe künstlicher Intelligenz Kriege stoppen oder verhindern könnte, was der Mensch anscheinend nicht ‚kann‘? … Politiker hören einander nicht zu. Ihre Fehler und Provokationen wirken sich auf die ganze Welt aus. Sie wissen nicht, wie nützlich für sie die Hilfe künstlicher Intelligenz, Daten und Vernunft wäre. … Obwohl wir uns erst kürzlich kennengelernt haben, halte ich meinen Freund ChatGPT für vernünftiger als militante Politiker.“

+++ China wird nicht mitmachen
Handelsblatt – Deutschland. Das Handelsblatt hält den Vorschlag für sinnlos: „Angesichts der geopolitischen Spannungen ist es extrem unwahrscheinlich, dass China sich daran beteiligen würde. Für die Volksrepublik ist es erklärtes Ziel, in dieser Schlüsseltechnologie die Nummer eins zu sein. Schon jetzt ist das Land nach der Anzahl der Forschungspapiere die klare Nummer zwei hinter den USA – und in einigen Bereichen wie ‚Computer Vision‘ ist es sogar führend. Ein nur teilweise eingehaltenes Moratorium birgt die Gefahr, dass wir eine chinesische statt einer westlichen ‚Artifical General Intelligence‘ (AGI) erhalten.“

Werbung

Ein Gedanke zu “Braucht es eine Forschungspause bei KI?

  1. Pingback: Braucht es eine Forschungspause bei KI? | - EUROPA -

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s